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Gemeindebauten in Währing

Sind Sie schon einmal mit „offenen Augen“ durch Währing spaziert? Dann ist Ihnen wahrscheinlich auch die mannigfaltige Architektur in unserem Bezirk aufgefallen. Historisch bedingt wird die Gegend geprägt von Gründerzeitbauten, vereinzelt findet man noch Biedermeier-Häuser. Meist ziemlich unauffällig schmiegen sich vereinzelt Gemeindebauten, vor allem aus der Zwischenkriegszeit, in die Häuserzeilen ein. Wussten Sie jedoch, dass Währing über 43, oft unter Denkmalschutz stehende, Gemeindebauten verfügt? Auffällig und bekannt sind der „Lindenhof“ in der Kreuzgasse und gegenüber der „Pfannenstiehlhof“ oder auch der „Rudolf-Sigmund-Hof“ in der Gersthofer Straße. Zumeist unbeachtet bleibt der älteste, bereits 1923 errichtete, Gemeindebau an der Ecke Lacknergasse/Staudgasse.

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Gemeindebauten sind ein weltweit einzigartiges Projekt,
das noch heute Aufmerksamkeit erregt und (Projekt-)
Gruppen aus dem Ausland anzieht. Historischer Hintergrund
ist die in Wien Anfang des 20. Jhdts. herrschende
Wohnungsnot und durch die Überbelegung der kleinen
Wohnungen bedingten Erkrankungen, wie Tuberkulose.
Nach Auflösung der Donaumonarchie errangen 1919 die
Sozialdemokraten die absolute Mehrheit bei den Gemeinderatswahlen
und konnten damit den bereits lange geforderten
sozialen Wohnbau umsetzen. Sensationell war für
die damalige Zeit, dass jede Wohneinheit (bis 1924 38m²
oder 48m², später bis 57m²) über ein WC und eine Wasserentnahmestelle
verpflichtend verfügen musste.¹ Darüber
hinaus wurde auf Gemeinschaftseinrichtungen wie
Kindergärten, Waschküchen und Bibliotheken Wert gelegt.
Also keine Rede von der verächtlichen Bezeichnung
„Arbeiter-Miets-Kasernen“, sondern eher Luxus pur.
In den Jahren 1923 bis 1934 wurden in Währing bereits
17 Wohnhausanlagen errichtet. Die erste entstand 1923
in der Lacknergasse, der „Pfannenstiehlhof“ und der „Lindenhof“
entstanden 1924/25. Mich sprechen besonders
die beiden Wohnhäuser in der Weimarerstraße 1 bzw.

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8-10 an, die 1924 bzw. 1928 in Angriff genommen wurden
und jeweils nach etwa einem Jahr fertiggestellt wurden.
Die Architektur beschritt hier neue Wege, welche sich
formal gänzlich von der imperial geprägten Gründerzeit
unterscheidet, wie an einigen Beispielen von Währinger
Gemeindebauten dargelegt werden soll:
Lacknergasse 96 (Arch. Josef Bittner, 1923) Der erste
Gemeindebau Währings wurde im selben Jahr verwirklicht,
in dem der Beschluss zum Wiener Gemeindebauprogramm
[Anm. 21.09.1923] gefasst wurde. Auf zwei
zusammengelegten Parzellen, mit dezentralen Zugängen,
weist der Entwurf bereits wesentliche Merkmale der zukünftigen
Gemeindebauten auf: einen großzügigen, begrünten
Innenhof, sowie Objektgrundrisse, welche viel
Lichteinfall und das Querlüften in den Wohnungen ermöglicht.
Dies war angesichts der weit verbreiteten Tuberkulose
(„Wiener Krankheit“) ein zentrales Element
der städtischen Gesundheitspolitik.
Lindenhof (Kreuzgasse 78-80; Arch. Karl Ehn, 1924-
25) Der 250 m lange Baukörper, erstreckt sich am oberen
Rand des ehemaligen Parks des Palais Czartoryski.²

1 MA25: https://web.archive.org/web/20090201202113/http://www.gebietsbetreuung.wien.at/
htdocs/sozialeswohnen.html
² Anm. Erbaut ab 1748; ab 1831 im Besitz von Constantin Adam Fürst Czartoryski. Der Lindenhof
ist benannte nach einer alten Linde, auf der mittleren Terasse der Anlage, aus dem ehemaligen
Baumbestand des Gartenpalais. Durch den Krieg und Brände nicht mehr sanierbar, wurde an
Stelle des Palais die heutige Hans-Radl-Schule in der Währinger Straße errichtet.
³ Anm. Karl Ehn, Otto-Wagner-Schüler an der Akademie der Bildenden Künste, schuf zwei Jahre
später den Karl-Marx-Hof in Heiligenstadt.

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Ehn probierte hier erstmals die Bauform des „Superblocks“.³
Zusammen mit dem gegenüber liegenden Pfannenstiehlhof
bildet der Lindenhof eine urbanistische Kante gegen
die westlich gelegene Vorortelinie. Entlang der ansteigenden
Kreuzgasse entstanden drei Gartenterrassen, im
Hof akzentuiert durch Runderker sowie Pavillons (Hort
und Kindergarten) an den beiden Terrassenstufen. Die
Längsseiten des Rechtecks sind südseitig mit Loggien versehen.
Kubistisch-expressionistische Keramiken⁴ unterstreichen
die Bedeutung, die dieser frühen „Stadt der
kurzen Wege“, mit integrierten Vereins- und Geschäftslokalen,
von der Kommunalpolitik damals beigemessen
wurde. Dieser Einklang des „vitruvischen Ideals“⁵ hatte
vor 1924 in keinem Arbeiter(zins)haus Wiens architektonisch
Niederschlag gefunden.

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Pfannenstiehlhof (Kreuzgasse 87-89; Arch. Erich Franz
Lescher; 1924-25) Zeitgleich mit dem Lindenhof errichtet,
bildet er hier den Abschluss der großstädtischen
Bebauung in Währing. Anders als Ehns Werk gegenüber,
erstreckt sich Leschers Bau über zwei getrennte Grundstücke.
Der Entwurf ermöglicht viele besonnte Wohnungen
mittels eines hufeisenförmigen, nach Nord und West
orientierten Grundrisses. Die vier Stiegenhauskerne,
deren verglasten Schlitze die Fassade gliedern, beschatten
die Fassade nicht. Flach-plastische Spitzerkergruppen
betonen den burgartigen, schlichten Baukörper. Als
künstlerisches Element tritt ein getriebener Kupferfries
der Bildhauerin Angela Stadtherr hervor über der Straßenbahnschleifendurchfahrt.
⁶ Sternförmige Lampen-
Appliquen bilden kubistische Elemente die den schroffen
Charakter des Entwurfs betonen.

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Weimarer Straße 1–3 (Arch. Karl Dirnhuber⁷; 1924-25)
Friedrich Achleitner urteilte über diesen Hof als „markant
gelöst schwingender Kopfbau (…), eine einprägsame,
aus dem Ort entwickelte Stadtkorrektur.“⁸ Dirnhuber
schuf zugleich den angrenzenden Schubertpark⁹. Die
dynamische Baulinie zur Spitze mit ihren abgerundeten
Eckloggien mutet mediterran an und rezipiert den lichten
Bau-Stil der „Weißen Stadt“, wie die Stadtviertel aus der
Epoche des „Neuen Bauens“ z.B. in Tel Aviv genannt werden.
Der spitz-abgekappte Winkel des Grundstücks sowie
die Höhenunterschiede wurden durch die stark plastische
Gestaltung geschickt gelöst. Eingeschnittene Balkone
und Lauben bewirken eine changierende Schattenwirkung,
wobei erstere als stromlinienförmige Bänder die
zwei Seiten des Baus zusammenschließen. Das aufwärts
strebende Gebäude erhielt durch die betont horizontalen
Fensterleibungen aus Klinker einen Kontrapunkt.

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4 Anm. Künstlerisch reich ausgestatteten Portale (Steinplastiken Feldarbeiter und Mutter mit Kind, von Josef Franz Riedl), sowie Mosaike (Carry Hauser) und ein Zierbrunnen (Fritz Zerritsch) 5 Anm. Der römische Architekt Vitruv formulierte das Ideal der firmitas, utilitas, venustas (Festigkeit, Nützlichkeit, Vergnügen) als Ideal der Baukunst, worauf sich sowohl Louis Sullivan (Lehrer Frank Lloyd Wrights), als auch Adolf Loos beriefen im Ausspruch form follows function.³ Anm. Karl Ehn, Otto-Wagner-Schüler an der Akademie der Bildenden Künste, schuf zwei Jahre später den Karl-Marx-Hof in Heiligenstadt. 6 Anm. Ursprünglich sollte die (verlegte) Rosensteingasse in dieser Hausdurchfahrt ihren Abschluss finden. Der damalige F-Wagen (Kreuzgasse-St. Marx) hatte seine Endstelle auf einem Kopfgleis bei der ehemaligen Remise Kreuzgasse und wurde später durch die Hausdurchfahrt mit Schleifenfahrt durch die Antonigasse verlängert. Mit dem Bau des Jonas- Reindl am Schottentor wurde der ehemalige Ringwagen F gekürzt zum Schottentor geführt als Linie 42. ⁷ Anm. Dr. tech. Karl Dirnhuber (1889-1953) studierte an der Technischen Hochschule Wien (heute TU) und emigrierte 1939 mit seiner Frau Annie (geb. Stern) nach London und
starb in Brimingham. ⁸ Wolf, Helga Maria. Wien-Währing. Archivbilder. 2004,
S. 38 ⁹ Anm. Nachdem der Währinger Ortsfriedhof (1769-1873) ab 1912 aufgelassen wurde, entstand unter Arch. Dirnhuber der heutige Schubertpark, benannt nach dem gleichnamigen Wiener Komponisten, welcher ursprünglich hier beerdigt war. ¹⁰ Anm. Gemeint ist Architekt und Kunsttheoretiker Gottfried Semper (1803-1879). ¹¹ Anm. 1929 betrieben die sozialdemokratischen Arbeiterbüchereien insgesamt 53 Zweigstellen in Wien. Vgl. https:// www.geschichtewiki.wien.gv.at/images/f/f8/Arbeiterbüchereien. jpg; abgerufen am 23.03.2022

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Weimarer Straße 8-10 (Arch. Konstantin Peller; 1928-29). Der Otto-Wagner-Schüler entwarf einen Baulückenschluss, der die repräsentative Fassade der umgebenden Bürgerhäuser widerspiegelt, indem er die zwei Seiten und der Mittelrisalit mittels einer komplex expressionistisch gestalteten Klinkerverblendung gestalterisch verbindet, wobei die Eckloggien die herrschaftliche Dynamik des Baus unterstreichen. Hier wurde der Semper’schen¹⁰ Forderung nach „Materialehrlichkeit“ entsprochen und fand in vielen Kommunalbauten des Neuen Bauens Anklang. Im Gartentrakt ändert sich der Charakter: vorkragende Rundbalkone umfassen turmartige Rundrisalite und schaffen einen maritimen Charakter. Heute befindet sich hier eine der wenigen original fortbestehenden Arbeiterbüchereien¹¹. (Stadt Wien –Büchereien). Wie es mit den Gemeindebauten während und nach dem 2. Weltkrieg weiter gegangen ist, erfahren Sie in weiteren Blogs.

Maximilian-Paul Hertz, MArch.
Architektur
Ingrid Jung-Blaha
Historisches, Fotos


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